BLUTIGER WINTER

von TOM CALLAGHAN

 

Atlantik Verlag des Hoffmann und Campe Verlags (www.atlantik-verlag.de)

Erschienen im Januar 2015

ISBN 978-3-455-65019-8

Format: Broschiert

Preis: 14,99 Euro

Seiten: 320


 

 

- "Das Licht oder genauer gesagt der graue Schlamm, der in Bischkek im Winter als Licht durchgeht, verblasste,

und es fing wieder an zu schneien, als ich die Holztür und die dahinterliegende Stahltür zu meiner Wohnung aufschloss." -                                        

                                                                    Zitat von Seite 23

 

Schwermut. Das ist das erste Wort, das mir einfällt, wenn ich diesen Thriller mit einem Wort beschreiben müsste. Moment! ....Schwermut? Sollte ein Thriller nicht in erster Linie spannend, atemberaubend oder gänsehautverursachend sein? Ja, auch diese Adjektive passen in die Beschreibung von "Blutiger Winter". - Trotzdem liegt über allem diese Schwermut, diese "Gedämpftheit", diese Kälte des kirgisischen Winters, die einem beim Lesen durch die Knochen zieht. Eine Kälte, die so bildlich beschrieben ist, dass man permanent fröstelt und sich geradezu nach Tee und Wolldecke sehnt.

So wie der Schnee bei uns im Winter alles einhüllt und leise werden lässt, so wirkt sich die schmuddelige, graue Kälte des kirgisischen Winters in Bischkek auf diesen Thriller aus und lässt ihn zu einer langsamen, bedächtigen und eben schwermütigen Geschichte werden. Manchmal hatte ich geradezu das Gefühl, einen Thriller in Zeitlupe zu lesen, denn stakkatoartige Sätze, kurze Kapitel und ständige Perspektivwechsel, die Bücher zur reinsten Achterbahnfahrt für den Leser machen können, gibt es hier nicht. Stattdessen stößt man auf geradezu poetische Sätze, die nochmal das ihrige zur Atmosphäre von "Blutiger Winter" beitragen.

 

- "Die fallenden Schneeflocken, die fernen Scheinwerfer, der Wind, der sich durch die kahlen Zweige mogelte, alles

verdichtete sich zu einem einzigen Augenblick, zur Zeitlupe, die schließlich zu völligem Stillstand kam." -

                                                                    Zitat von Seite 206

 

Kirgisien also. Ein nicht gerade alltäglicher Schauplatz für einen Thriller oder Roman und, nachdem ich mit dem Lesen fertig war, auch definitiv kein Land, in das ich in den Urlaub fahren würde. Dem Autor scheint es jedoch zu gefallen, denn laut Klappentext lebt er zeitweise dort und vermag es somit bestens, dem Leser das alltägliche Kirgisien nahezubringen. Ein Land, das aufgrund seiner politischen Lage zerrüttet ist, in dem große Armut und eine hohe Kriminalitätsrate herrschen und in dem man eigentlich korrupt und skrupellos sein muss, um zu überleben.

 

Unser Hauptprotagonist, Inspektor Akyl Borubaew, ist da jedoch anders gestrickt. Menschlicher. Entgegen seiner größtenteils korrupten Kollegen hat er sich ein Gewissen bewahrt. Er führt seine Arbeit, seine Ermittlungen an den Fällen mehrerer Frauenleichen, die brutal verstümmelt mit fremden Embryonen im Bauch gefunden werden, gewissenhaft durch. Dass es sich bei

einer der Leichen um Jekaterina, der Tochter des Ministers für Staaatssicherheit handelt, macht den Fall sehr brenzlig.

Steckt eine Gruppierung aus Usbekistan, einem Land, mit dem Kirgisien im Clinch liegt, dahinter? Oder hat sich Jekaterina mit den falschen Leuten eingelassen? Mit Leuten aus dem Rotlichtmilieu, für die Frauen nur Ware sind?

 

Und so folgen wir Akyl in den kriminellen Untergrund Kirgisiens, in dem ein Menschenleben nichts wert ist, in dem sich jeder selbst der Nächste ist und in dem ein sehr rauer Umgangston herrscht. Wir machen Bekanntschaft mit der Droge "Krokodil", einem Heroinersatz, die den Konsumenten zu einem wandelnden Zombie werden lässt. Die, obwohl sie zum sicheren Tod führt, da sie den Körper von innen geradezu auffrisst, heißbegehrt ist. Um zu vergessen. Das eigene Leid und das der anderen.

In diesem ganzen Sumpf nun also Akyl, der Mitgefühl für seine Mitmenschen zeigt, versucht, es jedem recht zu machen und dabei irgendwie selber auf der Strecke bleibt. Denn die grenzenlose Trauer über den viel zu frühen Krebstod seiner Frau ist allgegenwärtig, lähmt ihn und nimmt ihm die Luft zum Atmen. Dennoch hat der Autor ihm manchmal einen Sarkasmus in den Mund gelegt, der mich zum Schmunzeln brachte. Andererseits wieder wirkt er zuweilen ein bisschen wie ferngesteuert.

 

Der Leser begleitet Akyl bei seinen Ermittlungen, die ihn durch Kirgisien führen, in entlegene Dörfer, in denen das Recht des Stärkeren gilt und an die Grenze, ins Feindesland. Aber diese Ermittlungen werden nicht nur behindert, er wird sogar bedroht. Jemandem ist sehr daran gelegen, dass er sich aus dieser Sache heraushält. Akyl wäre jedoch nicht Akyl, ließe er sich davon beeindrucken.

 

Tom Callagher hat hier einen sehr gut durchdachten und atmosphärischen Thriller vorgelegt, der jedoch stellenweise nichts für schwache Gemüter ist.

Dieses Buch ist äußerst facettenreich: brutal und mit leisen Tönen, ekelerregend und schauderhaft, manchmal lustig, traurig, deprimierend und sarkastisch, blutig und mit trockenem Humor. Kalt, unberechenbar und grausam. Permanent düster. Und vor allem eins - schwermütig.

 

MEIN FAZIT: 3,5/5 BÜCHEREULEN