FUNNY GIRL
von ANTHONY MCCARTEN
Diogenes Verlag (www.diogenes.ch)
Erschienen im Februar 2014
ISBN 978-3-257-86240-9
Format: gebunden
Preis: 21,90 Euro
Seiten: 384
Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendwelche Eltern besonders begeistert sind, wenn ihre gerade erwachsene Tochter ihnen folgenden Berufswunsch unterbreitet: Stand up Comedian. Ihr wisst
schon, die Leute, die auf der Bühne stehen und das anwesende Publikum mit ihren vorgetragenen Texten zum Lachen bringen.
Wenn es sich allerdings um die Tochter gläubiger Muslime handelt, ist "nicht besonders begeistert" natürlich extrem untertrieben. Azimes Eltern verbieten und schreien und fluchen und drohen. Erst
mit Hausarrest, dann mit Verbannung aus der Familie.
Als ich den Klappentext zu "funny girl" las, war ich gleich Feuer und Flamme. Seit "Liebe am Ende der Welt" sowieso McCarten-Fan, erschien mir die Aussicht auf eine Geschichte, in der eine Burka
tragende Muslima ihren Weg als Comedian macht, doch äußerst vielversprechend. Freundlicherweise wurde mir ein Leseexemplar vom Diogenes Verlag zur Verfügung gestellt und was soll ich sagen? Die
384 Seiten flogen nur so dahin. Leider viel zu schnell.
Anthony McCarten hat hier ein äußerst vielschichtiges Buch geschrieben, in dem es nicht nur um den Wunsch eines Mädchens geht, aus den alten Traditionen auszubrechen. Man lernt viel über die
Gepflogenheiten des Islam, über Familienbande, Sitten und Gebräuche und über Ehre.
Der Autor nimmt die muslimischen Mitbürger ein wenig auf die Schippe. Genauso prangert er jedoch auch an und kritisiert. Das alles mit einem Augenzwinkern und ohne den Respekt zu
verlieren.
Auf der anderen Seite zeichnet er ein liebevolles Bild der muslimischen Familie. Azimes Familie.
"Wenn er ihr ein Gummibärchen zusteckte, flüsterte er oft: Davon kann man gar nicht zu viele essen. Selbst wenn man kotzt, sehen sie noch gut aus." (Zitat Seite 84)
Azimes Vater Aristot ist das Familienoberhaupt, der sich als Einwanderer in London mühevoll sein eigenes Möbelgeschäft aufgebaut hat und seine Kinder zwar streng aber auch äußerst liebevoll
erzieht.
Azimes Mutter Sabite hingegen hat große Sorgen. Sorgen, ihre Tochter, die mit ihren 20 Jahren ja nun schon ein Ladenhüter ist, nicht mehr unter die Haube zu kriegen. Und so arrangiert sie eine
Verabredung mit einem potentiellen Heiratskandidaten nach der anderen....und wundert sich, dass keiner der über 40 Männer sich je wieder meldet. Dass es Azime mit ihrem schauspielerischem Talent
immer recht schnell gelingt, die Männer in die Flucht zu schlagen, ahnt Sabite natürlich nicht. Kurz: Sabite ist sehr traditionsverbunden.
"....wenn sie bloß lernte, den Mund zu halten, mehr zuzuhören, sich bescheidener und demütiger zu geben und eine gehorsame Dienerin zu sein, frei von jugendlichem Aufbegehren und der verheerenden
westlichen Sehnsucht nach einem Leben, das aufregender war als vom Schicksal vorherbestimmt." (Zitat Seite 225)
Und so sitzt Azime zwischen zwei Stühlen. Zwischen Gehorsam, der von ihr erwartet wird und dem Wunsch, ihren eigenen Weg zu gehen, was völlig verpönt ist. Unglaublich ist allerdings, wie witzig,
geistreich und bisweilen äußerst zynisch der Autor diese Geschichte aufgeschrieben hat.
Aber es gibt auch dunkle Seiten im Buch: der Tod einer ehemaligen Mitschülerin. Plötzlich steht das Wort "Ehrenmord" im Raum und nimmt Azime die Luft zum Atmen. Morddrohungen, als Azime erste
Erfolge als Comedian zu verzeichnen hat.
Und dann wieder ihr Werdegang. Die Panik vor dem ersten Auftritt.
"Ihr Herz klopfte wie ein Wäschetrockner, in den man eine Katze gestopft hatte." (Zitat Seite 96)
Ja, Azimes Geschichte ist vollgepackt - jedoch ohne überladen zu wirken. Man verliert als Leser niemals den Faden sondern fiebert begeistert mit. Azime habe ich ins Herz geschlossen, da sie genau
richtig ist. Klug, mutig und witzig. Nicht zu übermütig und durchaus auch abwägend.
MEIN FAZIT: Anthony McCarten lesen ist wie eine sehr interessante Plauderei mit einem angenehmen Menschen, die man ewig weiterführen möchte - 5/5 BÜCHEREULEN
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