MÄDCHENMEUTE
von KIRSTEN FUCHS 


Rowohlt Berlin Verlag (www.Rowohlt.de)
Erschienen im Januar 2015
ISBN 978-3-87134-764-1
Format: gebunden
Preis: 19,95 Euro
Seiten: 464



"Es war der Sommer, in dem ich aufhörte, einen knallroten Kopf zu bekommen, wenn ich mehr als drei Wörter sagen sollte." - Zitat Seite 9

...mit diesem Satz lernt der Leser die Ich-Erzählerin Charlotte "Charly" Nowak kennen, ein 15-jähriges Mädchen, das unter so extremer Unsicherheit leidet, dass es am liebsten unsichtbar wäre.
Die Sommerferien stehen vor der Tür und Charly hat genau zwei Optionen, wie sie diese Zeit verbringen soll bzw. will: Entweder ein paar todlangweilige Wochen bei der Oma oder die Teilnahme an einem Survival-Camp für Mädchen ab 12. Charly hat wie immer keine Meinung, ihre Eltern dafür umso mehr. Das Mädchen muss endlich mal selbstbewusster werden, aus sich heraus kommen und seine Schüchternheit ablegen. Für diese Entwicklung sind Feuer machen und Übernachten im Wald mit Sicherheit sehr förderlich, also wird Charly zu diesem Camp fahren.

Und hier beginnt die eigentliche Geschichte: das Camp stellt sich als sehr dubiose und unorganisierte Veranstaltung heraus, der Fahrer und die Betreuerin als wenig vertrauenserweckend.

"Entweder wusste sie nicht genau, wie man liebevoll guckte, oder sie wollte wirklich aussehen, wie ein zwischen die Tür geratenes Frettchen." - Zitat Seite 24

Betreuerin Inken wirkt schon sehr suspekt, die anderen Mädchen ebenfalls. Zumindest auf Charly, die in ihrer Gedankenwelt theoretisch wahnsinnig schlagfertig ist und eine ziemliche Schnodderschnauze hat (die den Leser noch des öfteren Schmunzeln lassen wird), praktisch aber vor lauter Schüchternheit nicht den Mund aufbekommt.
"Beim Sagen musste man sprechen, und dann hörten einem die anderen zu, sahen einen an, und dann konnte man ja nichts mehr sagen. Das war ein unlösbares Dilemma." - Zitat Seite 73

Dieser wild zusammengewürfelte Haufen Mädchen, die am Camp teilnehmen, diese verschiedenen Charaktere, die nicht unbedingt miteinander harmonieren, gar nicht harmonieren sollen, ist es, was diesen Roman ausmacht. Denn Zündstoff ist eigentlich genug vorhanden, wenn eine Rebellin ("Ich glaube, sie war das einzige Mädchen, dem Chuck Norris guten Tag sagen würde." - Zitat Seite 43), ein verwöhntes Püppchen, eine Schöne, ein Nesthäkchen, eine Schüchterne und eine, die alles ganz locker sieht, aufeinander treffen. Und Freigunda. Keine Ahnung, wo die Autorin diesen Namen ausgegraben hat, aber Freigunda ist genauso wie sie heißt ("Wo kam sie her, diese Freigunda und fuhr man da mit einer Zeitreisemaschine hin?" - Zitat Seite 43): Seit ihrer Geburt in einem Pferdewagen lebend und von Mittelalterfest zu Mittelalterfest ziehend, kennt sie sich bestens mit dem Leben in der Natur aus, was sich später noch als äußerst hilfreich erweisen soll.

Denn das Camp ist schon beendet, bevor es richtig angefangen hat. Unerklärliche Dinge passieren dort im Wald, gruselige und blutige Dinge, Sachen verschwinden und Betreuerin Inken scheint plötzlich nicht mehr zurechnungsfähig zu sein.
Die Mädchen ziehen ihre Konsequenzen - und hauen ab. 

Und nun? Die jeweiligen Eltern wähnen die Mädchen im Camp und denen geht ein Licht auf, dass sie niemand für die nächsten zwei Wochen vermissen wird, dass sie tun und lassen können, was sie wollen. Und da sie sich nicht von der Survival-Idee verabschieden wollen, wird schnell beschlossen, dass die komplette Truppe ins Erzgebirge zieht und dort ihr Lager in einem stillgelegten Stollen, den Anoushka (die Schöne) noch aus ihrer frühen Kindheit kennt, aufschlägt. Um dort hin zu gelangen, wird kurzerhand ein Auto samt Inhalt (6 vermeintlich hilflose Hunde) geklaut. 

Sobald die Mädchen im Wald, der den Stollen umgibt, ankommen, wird man unweigerlich an den Klassiker "Der Herr der Fliegen" erinnert, denn auch hier sind Machtkämpfe und Auseinandersetzungen an der Tagesordnung. 
Hat mir jedoch im ersten Teil rund um das Camp Charlys Gedankenwelt sehr gefallen, da sie eine wache Beobachterin ist, dreht sie sich im Wald um 180 Grad. Plötzlich kommt eine überaus poetische Charly zum Vorschein. Eine Charly, die ihr höchstes Glück in der freien Natur findet und über Pflanzen, Bäche und Tiere sinniert. Eine Charly, die ich der Autorin nicht abkaufte. So sind 15-jährige Mädchen nicht.
Überhaupt werden die Mädchen auf einmal als hochgradig vernünftig und abwägend und auch noch handwerklich absolut versiert dargestellt. Konflikte werden zu schnell und zu ruhig gelöst, Probleme wie kranke Mitstreiterinnen und sterbende Hunde ebenso. Zeitweise wirken die Mädchen sogar geradezu gleichgültig. Charlys sarkastischen Gedanken werden weniger, was sehr schade ist. Auch der kurzweilige Wortwitz der Autorin, der zu Anfang der Geschichte allgegenwärtig war, verstummt immer mehr.

Konnte mich die Autorin im ersten Drittel des Romans richtig packen, ließ mein Interesse im zweiten Drittel ziemlich nach. Zu platt und trocken wurde mir das Ganze. Sowohl vom Schreibstil als auch von der Handlung her.

Im letzten Drittel nimmt der Roman dann allerdings nochmal erheblich an Fahrt auf, denn hier passieren einige unvorhergesehenen Dinge. Leicht gruselige und schockierende. Allerdings auch ziemlich an den Haaren herbei gezogene. 

Gut unterhalten hat mich "Mädchenmeute" trotzdem, obwohl mir die Jugendlichen zu erwachsen dargestellt wurden, obwohl ich mir mehr Konflikte, vor allem realere Konflikte gewünscht hätte und obwohl die Autorin ihrer Hauptprotagonistin Charly keine nennenswerte Entwicklung zugestanden hat.

Daher lautet MEIN FAZIT hier: 3,5/5 BÜCHEREULEN 




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