KLEINE SCHWESTER

von BORGER & STRAUB


Diogenes Verlag (www.diogenes.ch)

Erschienen im September 2004

ISBN 978-3-257-23390-2

Format: Taschenbuch

Preis: 9,90 Euro

Seiten: 224



Meine liebe Bloggerkollegin Sandra von www.buecherfetischistin.de hat mir dieses Buch ausgeliehen und mich damit zu einem großen Fan des Autorinnenduos Martina Borger und Maria Elisabeth Straub gemacht. Denn obwohl diese beiden Autorinnen an entgegengesetzten Enden Deutschlands wohnen - eine in München und eine an der dänischen Grenze - schreiben sie wie eine Einheit. Dieser harmonische, neugierig machende und mitreißende Schreibstil war es, der mich von der ersten Seite an begeistert hat.


Es fällt mir sehr schwer, dieses Buch einem Genre zuzuordnen, da es so vielschichtig ist. Es könnte sowohl ein Krimi als auch ein Drama sein. Ein wenig Thriller und eine Familiengeschichte. Und eine enttäuschte Liebe. Ebenso eine Sozialstudie. Eins ist es auf jeden Fall: verzweifelt. Ich habe deshalb beschlossen, "Kleine Schwester" der Sparte Gegenwartsliteratur zuzuordnen. Ich denke, dort ist es gut aufgehoben.

Die Geschichte dieses Romans wird rückwärts erzählt. Man sitzt gleich zu Beginn mit der 12jährigen Lilly im Vernehmungszimmer einer Polizeiwache und erfährt nach und nach, dass Lilly ihre Eltern Carl und Ela, obwohl sie sie abgöttisch liebt, verraten hat. Verraten, um eine riesengroße Tragödie abzuwenden. Carl und Ela wurden verhaftet und Lilly schweigt. Man taucht jedoch ein in die Gedankenwelt dieses jungen Mädchens, das für sein Alter viel "zu alt" ist und liest mit Spannung und Entsetzen gleichermaßen was aus einer ehemals glücklichen Familie wurde. 

Denn glücklich waren sie einst, die Jessens. Dann aber setzt sich die psychisch ein wenig labile Mutter Ela in den Kopf, dass die Familie erst mit zwei Kindern komplett wäre. Eine zweite Tochter sollte es sein. Was wäre das Leben dann schön!
Eine zweite Tochter zieht auch alsbald ein: die 5jährige Lotta, ein Pflegekind aus dem Kinderheim. ....Und schon bald ist Ela, obwohl ausgebildete Erzieherin, heillos überfordert. Denn das schöne Leben, das sie sich so rosarot ausgemalt hat, findet nicht statt. Nicht mal ansatzweise. Lotta scheint ein wenig zurückgeblieben und auch irgendwie verhaltensgestört und krank zu sein. Aber anstatt diesem Mädchen zu helfen und es zu fördern, versagen alle: die Ämter, die ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen und Lottas neue Familie, die erst verzweifelt, dann resigniert, dann verdrängt. 
Als Leser ahnt man schon, was kommt, ist aber trotzdem schockiert. Schockiert, wie abgebrüht ein Mensch sein kann, um auf Teufel komm' raus die heile Fassade aufrecht zu erhalten. Schockiert, wie gleichgültig und schwach ein Mensch sein kann, weil er sich lieber unterordnet und den Weg des geringsten Widerstands geht. Und vor allem ist man darüber schockiert, dass scheinbar kein Außenstehender etwas bemerkt. Dass sich beim geringsten Anzeichen, dass hier etwas nicht stimmen könnte, zurückgezogen wird. Weil es bequemer ist.

Angeblich soll dieser Roman auf einer wahren Begebenheit beruhen. Ist das möglich? Definitiv ja! Leider ja!

"Kleine Schwester" ist eines dieser Bücher, die einen regelrechten Sog entwickeln, die man nicht mehr aus der Hand legen mag, die nachdenklich machen und noch sehr lange nachhallen.

Daher lautet MEIN FAZIT: 5/5 BÜCHEREULEN