NACHTS
von MERCEDES LAUENSTEIN


Aufbau Verlag (www.aufbau-verlag.de)
Erschienen im August 2015
ISBN 978-3-351-03614-0
Format: gebunden
Preis: 18,95 Euro
Seiten: 191



Mein erster Gedanke, nachdem ich den Klappentext dieses Episodenromans gelesen hatte, war, dass so eine Geschichte nicht funktionieren kann, nicht spannend, nicht mitreißend sein kann. Genau das sind aber die Kriterien, die ich von einem guten Buch erwarte. Hier schienen eher Trägheit und Melancholie im Vordergrund zu stehen - nicht gerade meine Favoriten. Zudem hat mich das Cover von der Optik her überhaupt nicht angesprochen. Im Buchhandel wäre ich dran vorbeigegangen. ....doch dann musste ich beim Lesen mit Erstaunen feststellen, dass sich "Nachts" zu einem meiner Monatshighlights mauserte.

- "Gibt es nur noch ein einziges erleuchtetes Fenster in einer ganzen Straße, bleibe ich stehen, blicke hoch und bete, dass es jetzt nicht erlischt. Einer muss übrig bleiben, einer muss immer übrig bleiben." - Zitat Seite 7

Die Geschichte, die hinter "Nachts" steht, ist wirklich mehr als merkwürdig: Eine junge Frau streift in der Nacht ziellos und schlaflos durch die Straßen Münchens und schellt bei denen an, bei denen noch Licht brennt. Um sich mit ihnen zu unterhalten. Über die Nacht, über die Dunkelheit, über die Schlaflosigkeit. Sie will wissen, was die Leute antreibt, die halbe oder auch ganze Nacht über wach zu bleiben, weiss aber selber, dass ihr Anliegen höchst seltsam daherkommt und tarnt es daher als eine Umfrage für eine Arbeit an der Uni. Wovon sie selber wirklich angetrieben wird, warum sie selber nicht schläft, bleibt dem Leser bis kurz vor Ende des Buches verborgen. Dann aber ist man erschüttert und sieht die zuvor gelesenen 191 Seiten plötzlich mit anderen Augen.

- "Aber eigentlich mag er diese Momente allein am Fenster, wenn alles außenherum dunkel ist. Das stille, gemächliche Rauchen in die leere, kühle Nachtluft, das Schweifenlassen des Blicks und das Sich-erhaben-Fühlen. Über all die Menschen, die vom Schlaf ausgeschaltet sind." - Zitat Seite 47

In 25 kurzen Kapiteln streift die junge Frau, die eigentliche Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin in diesem Buch, die aber ungreifbar bleibt, da sie so gut wie nichts über sich preisgibt, nun also durch München und lernt andere Schlaflose kennen. Jedem dieser Menschen ist ein Kapitel gewidmet und es sind Leute wie Du und ich, Leute, die unsere Nachbarn oder Familienangehörigen sein könnten, die die junge Frau hereinbeten und ihr von ihren Beweggründen, mitten in der Nacht wach zu sein, erzählen. 

Da ist die junge Mutter, die von ihrem Kind wachgehalten wird oder der Bäcker in Rente, der aus lauter Gewohnheit morgens um 2.00 h aufsteht. Die Weltreisende, die mit Jetlag zu kämpfen hat und der Mann, der darauf hofft, dass seine Freundin nach ihrer Schicht noch vorbeikommt. Die junge Frau, die aus Angst vor Einbrechern nicht schläft und die ältere Dame, die die Stille des Landes gewohnt ist und in der Stadt kein Auge zumacht. - Sie alle haben völlig plausible Beweggründe für ihre Schlaflosigkeit. Und sie alle haben etwas zu erzählen. 

- "Und jetzt frage ich mich, vor allem nachts, wenn die Dunkelheit mich abdriften lässt: Was habe ich eigentlich gesucht? Warum habe ich es nicht gefunden? Was habe ich stattdessen gefunden? Wo ist das jetzt?" - Zitat Seite 100

Leise und vor allem sehr poetisch kommt das Buch daher, ist aber in solch einem angenehmen Ton geschrieben, dass es nicht anstrengend poetisch sondern geradezu wohltuend poetisch ist. Man ist gefangen in der Sprache der Autorin, in der Klugheit ihrer Sätze und möchte noch ein Kapitel und noch eins und noch eins lesen. 

Manchmal lohnt sich eben doch ein zweiter Blick, auch wenn mir "Nachts" zu Anfang wenig attraktiv erschien. Umso überraschter war ich schlussendlich, welch ein Bücherjuwel ich in den Händen hielt. Denn MEIN FAZIT lautet hier: Absolute Leseempfehlung! 5/5 BÜCHEREULEN




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